Trauma – Ein Experteninterview mit Güllü Koç

Güllü Koç ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin und ausgebildete systemische Familien- und Traumatherapeutin aus Duisburg. Als Mitglied der Gesellschaft für türkischsprachige Psychotherapie und psychosoziale Beratung (GTP) therapiert sie häufig Migrant_innen, von denen einige von Traumafolgestörungen betroffen sind. Auch in ihrer Arbeit auf Akutstationen und Institutsambulanzen begegnet sie Menschen mit Traumata.

Frau Koç, was ist eigentlich ein Trauma?

Trauma bedeutet vom Wort her ‚Verletzung‘ oder ‚Wunde‘ und kommt aus dem Griechischen. Es kann seelischer oder körperlicher Natur sein.
Ein Trauma wird als ein kurz- oder lang anhaltendes Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß definiert, wo die eigenen Möglichkeiten nicht ausreichen, um diese Situation zu bewältigen. Man kann dabei Angst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Entsetzen erleben.

Wieso kann ein Trauma Menschen krank machen?

Wenn traumatische Erlebnisse nicht verarbeitet werden, was von vielen Faktoren abhängig ist, können Menschen Folgestörungen entwickeln, die ihre gesamte Persönlichkeit beeinflussen können. Das Selbstbild, die Wahrnehmung der Welt und die Sinnfindung des Menschen können beeinträchtigt sein, was zu Hoffnungslosigkeit, Angststörungen, Depressionen, Schmerzstörungen und mehr führen kann.

Woran erkennen Sie als Therapeutin denn, dass sich bei einem Menschen eine Traumafolgestörung entwickelt hat?

Der Leidensdruck ist groß, wo Menschen aus eigener Kraft belastende Lebenssituationen nicht bewältigen konnten.
Sie erkennen ihre Ressourcen nicht, sehen sich in Konfliktsituationen nur in der „Opferrolle“ sehen und machen wenig Erfahrungen von Selbstwirksamkeit. Bestimmte Ereignisse wie zum Beispiel Beziehungskonflikte wiederholen sich, oder ihnen fehlt es an Verantwortungsgefühl für sich und ihr Verhalten. Vorrangig geht es in der therapetuischen Begegnung darum, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, was mit einer Auftrags- und Zielklärung einhergeht.

Gibt es Symptome, die Sie in der Praxis besonders häufig sehen?

Ja, häufig sind zum Beispiel Schlafstörungen, Alpträume und das Vermeiden von bestimmten Aktivitäten und Situationen, die an das Trauma erinnern. Aber auch Angst, Panikattacken, fehlendes Selbstwertgefühl sowie Wutausbrüche kommen oft vor.

Gibt es eine Möglichkeit, Menschen besser für solche Krisen zu wappnen?

Ich glaube, das es einfach in unserer Natur liegt, dass wir erst selbstständig unser Leben und Verhalten im Griff haben wollen und damit verbundene Ereignisse verarbeiten wollen. Dafür brauchen wir eine gesunde Entwicklung unseres Wesens mit allen Fähigkeiten und Kompetenzen.
Da kann jede Person, jede Familie, jede  Institution in der Gesellschaft einen großen Beitrag leisten, indem dort auf die persönlichen Rechte und Grenzen aller geachtet wird und diese geschützt werden. Sicherheit, Bindung und Autonomie sind existentielle Grundbedürfnisse eines Menschen.

Worin sehen sie die besonderen Herausforderungen, die sich für Migrant_innen mit Trauma-Beschwerden ergeben?

Meistens haben Migrant_innen über einen längeren Zeitraum Traumatisierungen erlebt und entwickeln entsprechend komplexe Traumafolgestörungen. Schon im Herkunftsland haben sie traumatische Lebenssituationen erlebt, etwa Krieg, Flucht, politische Verfolgung, Folter oder große wirtschaftlicher Not. Hinzu kommt dann auch noch die neue Lebenssituation in einem fremden Land.  Fehlende Sprachkenntnisse, unsichere Aufenthaltssituationen verhindern das Sicherheits- und Vertrauensgefühl, was für die psychische Stabilisierung eines Menschen von Nöten ist.

Sie haben vor kurzem das Seminar „Einführung in die Traumapädagogik“ gehalten. Gab es hierbei für Sie auch überraschende Momente oder Situationen, die Sie besonders beeindruckt haben?

Ich weiß, wie belastend die Arbeit in diesem Bereich sein kann, wenn wir Menschen begegnen, die durch andere Menschen Leid und Verletzungen erlitten haben, zum Beispiel durch Krieg oder Folter. Einigen wurde auch im Kindesalter von ihren Vertrauenspersonen sowohl körperlich als auch seelisches Leid zugemutet. Ich begegne ihnen im therapeutischen Setting in zeitlichen Abständen. Mich hat es beeindruckt, welche Momente und Schwierigkeiten im pädagogischen Bereich erlebt werden, wie nah die pädagogischen Fachkräfte an diesen Menschen sind, und mit was für einem Fürsorge- und Feingefühl sie versuchen, diesen Menschen zu helfen. Deshalb habe ich große Freude gespürt, meine Erfahrungen weitergeben zu dürfen.

Gibt es Inhalte bezüglich der Trauma-Thematik, die Ihnen besonders am Herzen liegen, wenn Sie pädagogisch Tätige unterrichten?

Ich habe gemerkt, wie wertvoll der Austausch unserer Erfahrungen ist; wir ergänzen uns in der Arbeit.
Die wertschätzende menschliche Haltung: „Jede_r ist Experte des eigenen Lebens“ wünsche ich mir in allen Bereichen.